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Musikzeitschrift Facts:
GELÖSTER DENN JE
Mit den Dire Straits wurde Mark Knopfler weltberühmt. Seinen künstlerischen
Höhepunkt hat der Musiker erst jetzt erreicht – als reifer Songwriter.
Mark Knopfler? Als Kleistermeister war er verschrieen. Galt als Weichspüler
unter den Gitarrenhelden. Fuhr Autorennen statt auf Drogen ab, spielte Golf
statt mit dem Leben, schaute lieber fern als den Frauen nach. Musizierte mit
seinen Dire Straits oft geschmäcklerisch, selten geschmackvoll. Ein gediegener
Langweiler, den man nicht mit Sex, Drugs & Rock 'n' Roll assoziierte. Sondern
mit biederen weissen Tennissocken. Jetzt sitzt er in einem Büro im Londoner
Schicki-Quartier Nottinghill auf einem Plüschfauteuil. Trägt ein graues Shirt,
Billiguhr, Khakihose, Nike-Turnschuhe und – schwarze Tennissocken.
FACTS: Glückwunsch, Herr Knopfler. Das neue Album «Sailing to Philadelphia»
gefällt mir von all Ihren Platten am besten.
Mark Knopfler: Ach, ja? Weshalb denn?
Weil es den gegenseitigen Einfluss von keltischer und amerikanischer Volksmusik
auslotet. Weil es mit Fiddle, Farfisa-Orgel, Lapsteel, Mariachi-Trompeten und
dem wunderbar Raum greifenden Spiel der National Guitar in US-Urmusik schwelgt,
im Folk der Appalachen, in Bluegrass, Blues und Gospel, und dennoch die
europäischen Wurzeln nicht verhehlt. Weil es nach lockerem Live-Spiel klingt
statt nach angestrengter Studio-Klauberei. Weil die Gäste Van Morrison, James
Taylor, Chris Difford, Glenn Tilbrook und Gillian Welch ergreifende Stimmungen
beitragen und Knopfler gelöster ist denn je. Vergessen sein gekünsteltes Raunen,
das cool hätte klingen sollen, jedoch unbeteiligt klang – Knopfler singt wie ein
Herrgott.
FACTS: Ihr letztes Album «Golden Heart» war überproduziert. Wie kommt es, dass
das neue so rau, so lebendig klingt?
Knopfler: Keine zusammengebastelten Aufnahmen mehr, wir haben als Gruppe live
gespielt und fast nichts nachgebessert. Endlich habe ich gelernt, im Studio
einfach drauflos zu spielen. Und dann half es mir sehr, mit dem Rauchen
aufzuhören.
FACTS: Wie bitte?
Knopfler: Ich kann mich besser konzentrieren und hab mehr Energie zum Singen.
FACTS: Dafür haben Sie zugenommen.
Knopfler: Ein bisschen, aber ich versuchs jetzt mit Fitness.
Noch ist sein Timbre rauchig, Knopfler, ergraut und rundlich, lispelt langsam
und leise, leitet fast jeden Satz mit «I believe» oder «I ask myself» ein und
fügt meist einschränkend an: «Das ist jedenfalls meine Ansicht.» Blickt
interessiert aus den hellblauen, eng zusammenliegenden Augen. «Und was meinen
Sie?» Kein apodiktisches Geprotze, sondern echte Bescheidenheit, echte
Gelassenheit. Seine Sprache: die eines Professors, nicht die eines Rockstars.
Der 51-jährige Ordenträger des British Empire, geschätztes Vermögen 185
Millionen Franken, fühlt sich sichtlich wohl in der Rolle eines Elder Statesman
der Popmusik.
Mark Knopfler? Sohn eines Architekten aus Glasgow, wächst in Newcastle auf,
schreibt zwei Jahre für die «Yorkshire Evening Post», ist Englischlehrer in
Essex. 1978 nennen er und drei andere Normalos aus dem Londoner Stadtteil
Deptford sich Dire Straits, schmuggeln ein Demotape ins Milchfach des Radio-DJs
Charlie Gillett, der hört es sich an, spielts in seiner Sendung auf BBC Radio
One – über Nacht ist «Sultans of Swing» in aller Ohren.
Die Band erfindet einen swingenden Sound, der zugleich schlendert und prescht:
Die Rhythmusgitarre galoppiert, derweil die Leadgitarre weite Räume öffnet und
vom US-Süden träumt. Dire Straits werden Englands grösste Popstars, verkaufen
100 Millionen Platten, 20 Millionen allein von «Brothers in Arms». Die 330'000
Kopien, die das Album in der Schweiz absetzte, werden nur von Pink Floyd und
Abba übertroffen. Paradox: «Brothers in Arms» brilliert mit Gitarren-Rock im
Pop-Jahrzehnt, Dire Straits werden zu Helden auf MTV, obgleich sie das Musik-TV
verhöhnen, zu Megastars, obgleich sie sich über den Status lustig machen. Doch
das Paradox ist begründet: Diese Musik, laid back und unaufgeregt, altbacken und
handgemacht, funktioniert als Antithese zur grellen Kunststoffwelt der Eighties.
Zum Rampenlicht hat Knopfler von Anfang an ein ambivalentes Verhältnis. Er zieht
sich zurück, komponiert Soundtracks für Filme wie «Local Hero», produziert Bob
Dylans Album «Infidels», schreibt «Private Dancer» für Tina Turner. Nach zwei
monströsen Welttourneen hat er genug. Versteckt sich mit Freunden hinter dem
Bandnamen Notting Hillbillies und spielt zum Spass amerikanische Klassiker.
Verbirgt sich als Begleitmusiker hinter Eric Clapton, ist lieber Schüler als
Superstar. Löst die Dire Straits schliesslich 1993 auf.
FACTS: Hat der enorme Erfolg in den Achtzigerjahren Sie befreit oder versklavt?
Knopfler: Beides. Gemessen an den Einschränkungen, mit denen die meisten Leute
leben müssen, ist die Freiheit fantastisch, die der Erfolg dir gibt.
FACTS: Was ist so fantastisch daran?
Knopfler: Dass du tun kannst, was du schon immer tun wolltest. In grossen
Studios arbeiten. Tolle Gitarren kaufen.
FACTS: Aber Sie konnten in kein Restaurant mehr gehen, ohne erkannt zu werden.
Knopfler: Daran war nicht der Erfolg schuld, sondern das Prominentsein. Daran
ist nichts Gutes, gar nichts. Ich fand es schrecklich, berühmt zu sein.
FACTS: Aber dem Ruhm verdanken Sie, dass man Sie überhaupt eine Platte wie «Sailing
to Philadelphia» veröffentlichen lässt.
Knopfler: Stimmt, ein solches Album hätte man mich sonst keinesfalls machen
lassen. Mehr noch: Ich hätte heute nicht den Hauch einer Chance, überhaupt unter
Vertrag genommen zu werden.
FACTS: Und Universal Music übt gar keinen Druck auf Sie aus, Sie sollten den
Erfolg von «Brothers in Arms» wiederholen?
Knopfler: Kein Wort. Die Firma setzte mich nie unter Druck, eine Platte so oder
so zu machen. Natürlich ist mir bewusst, dass die auf der Chefetage gern hätten,
ich würde ein kommerzielles Album machen, aber das würde ich nie akzeptieren.
Ich weiss noch nicht mal, wo deren Büro ist, wie die aussehen. Ich war noch nie
dort.
FACTS: Moment mal, immerhin lassen Sie sich von der Plattenfirma dieses
Interview zur Promotion des Albums aufzwingen.
Knopfler: Aber das mach ich doch freiwillig. Weil heute so ein Lärm ist überall,
in dem meine Platte sonst untergehen würde.
FACTS: Um Aufmerksamkeit zu erheischen, bräuchten Sie nur Dire Straits auf die
Hülle zu schreiben statt Mark Knopfler.
Knopfler: Sehen Sie, das wär das Schlimmste, was ich tun könnte. Ich mag den
Namen nicht mehr bemühen.
FACTS: Sie verzichten aus freien Stücken darauf, viel mehr CDs zu verkaufen?
Knopfler: Mir reicht es, wenn ich immer eine nächste Platte machen kann.
Eigentlich reichts mir schon, wenn ich bis morgen Abend planen kann.
Mit dem Widerspruch, dass er die Freiheit, auf Erfolg zu verzichten, dem
früheren Erfolg verdankt, lebt Knopfler ganz gut. Der Faulpelz geniesst daheim
in London den Alltag mit seiner Frau, der Schauspielerin Kitty Aldridge, und der
zweieinhalbjährigen Tochter Isabella. «Himmlisch! Nichts auf der Welt ist süsser
als ein kleines Mädchen, und nichts ist wichtiger. Wenn sie auf deinem Schoss
sitzt, und du liest ein Buch vor, das ist das Grösste.» Knopflers Zwillinge aus
erster Ehe, Joseph und Benjamin, sind zwölf; der eine will Gitarrist, der andere
Drummer werden.
FACTS: Welchen Rat geben Sie ihnen?
Knopfler: Zu tun, woran sie glauben. Zuerst sich selber zu genügen, bevor sie
anderen gefallen wollen.
FACTS: Waren Sie selber nie versucht, die Erwartungen der Fans zu befriedigen?
Knopfler: Doch, auf meiner letzten Tournee spielte ich auch ganz alte Hits, aber
nicht aus Anbiederung, sondern aus Respekt vor meinen Fans. «Brothers in Arms»,
«Sultans of Swing», das sind Meilensteine in ihrem Leben, die sie gern hören. Du
musst nur aufpassen, dass sie nicht zum Kabarett verkommen. Jedesmal, wenn ich
«Romeo and Juliet» spiele, versuch ich den Song mit etwas Neuem auszufüllen, ihn
nicht bloss als Hülle abzuspulen.
FACTS: Gibt es Songs, die Ihnen zum Hals raushängen?
Knopfler: Mit «Money for Nothing» geht es mir manchmal so. Jeder will mich das
spielen hören.
FACTS: Und Sie selber haben sich von Ihrem grössten Hit entfremdet?
Knopfler: Er ist mir verleidet.
FACTS: Vielleicht, weil Sie weniger zynisch sind als damals, als Sie ihn
schrieben?
Knopfler: Das stimmt. Spielte ich ihn heute, er würde wohl ganz anders klingen.
Mark Knopfler? Für viele eine Religion. Wenige Künstler haben so eingeschworene
Fans wie er. Wenige haben sich mit dem Ruhm so differenziert auseinander gesetzt
wie er. Selbstironisch in «Millionaire Blues», verängstigt im Song «Rüdiger»
über einen aufsässigen Fan in Berlin.
Knopfler: Rüdiger tat mir leid, er hat mir fast das Herz gebrochen. Der wartete
überall auf mich, am Flughafen, im Hotel, beim Künstlereingang. Ich trug den
Song zehn Jahre mit mir rum, ehe ich ihn aufnahm. Es beunruhigte mich, verfolgte
mich.
FACTS: Rüdiger war das Extrem, aber im Grunde ist jeder Fan so: Er erwartet
etwas von Ihnen, das Sie ihm nicht geben können. Ist es das, was Sie
beunruhigte?
Knopfler: Ich fragte Rüdiger: «Wolltest du mein Autogramm auch, wenn ich Idi
Amin oder Saddam Hussein wäre?» «Ja, klar.» Denen gehts nur um Berühmtheit,
vielen ist egal, was du tust und wer du bist.
FACTS: Die Leute kauften Ihre Platten, weil alle anderen sie auch kauften – und
gar nicht, weil sie ihnen gefielen?
Knopfler: Die Leute kauften meine Platten, weil wir Mode waren. Die Musik war
ihnen egal. Als wir vor 90'000 Leuten in Mailand spielten, dachte ich: Es ist
gar nicht möglich, dass all die Menschen meine Platte mögen. Die sind einfach
da, weil sie dazu gehören wollen. Lächerlich.
Wenn er «lächerlich» sagt, meint er nicht: Die Fans widerten mich an. Sondern:
Ich war das nicht wert.
Legendär Knopflers Zurückhaltung: Ihm war es peinlich, als bekannt wurde, dass
er den gesamten Erlös, den seine Platten in Südafrika erzielten, Amnesty
International überwies. Eisern seine Diskretion: Kein böses Wort über Manager Ed
Bicknell, von dem er sich Ende August trennte.
Knopfler ist lehrerhaft korrekt, bricht seine Ernsthaftigkeit jedoch mit
rabenschwarzem Humor. Was er tue, wenn seinen Musikern ein neuer Song nicht
gefalle? «I kill them», sagt er trocken.
FACTS: Sie tönen amerikanischer denn je. Kamen Sie am falschen Ort zur Welt?
Knopfler: Nein. England ist der ideale Ort, um eine Besessenheit für
amerikanische Musik zu entwickeln. Howlin? Wolf! John Lee Hooker! Ihre LPs waren
in meiner Jugend so schwer zu bekommen, das machte sie so wertvoll.
FACTS: Thematisch reicht Ihr neues Album bis 1763 zurück. Haben Sie keine Lust,
heutige Geschichten zu erzählen?
Knopfler: Das tu ich doch. Ich erzähle neue, indem ich diese alten erzähle.
Stimmt. Das Spiel mit Zeitebenen gelingt auf der neuen Platte meisterhaft.
Fesselnd, wie Knopfler Historie zu Aktualität aufbereitet, Zukunftsvisionen
hingegen präsentiert, als wärens uralte Legenden. Vom 18. Jahrhundert spannt er
den Bogen in die Vierzigerjahre; zeigt, mit welcher religiösen Demut die
schwarze Gospelgruppe Fairfield Four rassistische Diskriminierung ertrug. Und
weiter zum Drogenelend der Gegenwart. Ob als Musiker oder Texter, es ist
stupend, wie Knopfler sich in fremde Landschaften, in nie erlebte Situationen
versetzt.
FACTS: Ihr Titelstück skizziert die Episode aus der Gründerzeit der USA, die
Thomas Pynchon im Monumentalroman «Mason & Dixon» beschrieb. Was reizte Sie
daran?
Knopfler: Dass das Buch anhand der Vergangenheit Aussagen über das heutige
Amerika macht. Um das Heute zu verstehen, muss man die Wurzeln kennen.
FACTS: Nun brauchte Pynchon dafür 1022 Seiten. Ist es leichter, dieselbe
Geschichte in fünf Minuten zu packen?
Knopfler: Ich würde nicht im Traum daran denken, einen Roman zu schreiben, das
könnte ich nicht.
FACTS: Haben Sie nie das Gefühl, ein Song sei zu kurz, die Form zu knapp, um
alles darin auszudrücken, was Sie möchten?
Knopfler: Songwriting ist die Form, die mir entspricht. Es ist etwas Eigenes,
nicht Prosa, nicht Dichtung.
FACTS: Stimmen Sie Ihrem Freund Sonny Landreth zu, der sagt, die Worte eines
Songs müssten auch als Gedicht bestehen, müssten ohne die Musik lesbar sein?
Knopfler: Nein, oft sinds nur drei, vier Zeilen, die wiederholt werden und die
Stimmung eines Songs ausmachen, ohne Musik jedoch nicht bestehen würden. Ich
würde nie ein Gedicht schreiben: Hey baby who?s your baby now your baby now your
baby now your baby now, wie ich in einem der neuen Songs singe. Musik ist etwas
anderes als Literatur.
Grandios verdichtet Knopflers «Sailing to Philadelphia» die Erfindung Amerikas
aus Tradition und deren Zerstörung, aus Abenteuerlust und Vernunft. Subtil
zeichnet der Song den Widerstreit zwischen der Sehnsucht nach Freiheit und
selbst auferlegten moralischen Fesseln. Pointiert zeigt er, dass die Grenze
zwischen Maryland und Pennsylvania bis heute einen Bruch in der amerikanischen
Gesellschaft markiert. Die Trennlinie zwischen Nord- und Südstaaten, gezogen von
1763 bis 1767 von den britischen Forschern Mason und Dixon, bleibt eine Narbe –
sie erinnert an Amerikas Erbsünde, die Sklaverei.
FACTS: Was würden Sie anders machen, könnten Sie Ihre Karriere neu beginnen?
Knopfler: Ich würde die Intensität drosseln. Ich liess mich zu rasch drängen,
ein zweites Album zu machen, da hätte ich mehr als neun Monate gebraucht. Die
vielen Tourneen hindern dich, zu dir zu kommen, Songs zu schreiben. Alles
ausgefüllt mir Tour, Platte, Tour. Du findest nie Zeit, das Beste zu machen,
wozu du fähig wärst. Schluderst im Studio unvorbereitet etwas hin. Ich hätte
mehr Zeit gebraucht.
Mehr Zeit. Er nimmt sie sich. Zweimal weist er die PR-Frau freundlich zurück,
als sie das Interview abbrechen will: «Can we have some more time, please?»
Überzieht die vorgesehene Zeit ums Doppelte und sorgt sich zum Schluss: «Hab ich
auch alles beantwortet, was Sie wissen wollten?»
Mark Knopfler hat sich Zeit genommen. Zeit, die beste Platte seines Lebens zu
machen: ein kluges Manifest wider die Hektik der Zeit.
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